„Fachkräftemangel ist kein temporäres Problem.“
Der Arbeits- und Fachkräftemangel ist die Nummer 1 der Herausforderungen bei mittelständischen Unternehmen. Wie ist dieses Studienergebnis einzuschätzen? Wir haben Prof. Rüdiger Kabst, Professor für International Business an der Universität Paderborn, dazu befragt.
Alle reden vom Fachkräftemangel. Ist die Bedrohung aus Ihrer Sicht tatsächlich so groß wie oft berichtet?
Prof. Rüdiger Kabst: Das Bundeswirtschaftsministerium beziffert den Anteil der Unternehmen, deren Existenz vom Fachkräftemangel bedroht ist, auf mehr als 55 %. Dabei sind die Rekrutierungsprobleme keineswegs ein neues Thema. Sie sind bereits ein Dauerbrenner, der sich allerdings seit der Corona-Pandemie verschärft hat. Das deutsche Erwerbspersonenpotenzial ist seither deutlich gesunken und wird durch die Entwicklungen der Demografie in den nächsten Jahren kontinuierlich weiter sinken. Wir sprechen also von einem systematischen, nicht von einem temporären Problem.
Kann verstärkte Digitalisierung eine Lösung sein – Stichwort „Künstliche Intelligenz (KI)“?
Prof. Rüdiger Kabst: Sicher können wiederkehrende Routinetätigkeiten durch Machine Learning und Automatisierung übernommen und so Effizienzgewinne erzielt werden. Allerdings muss irgendjemand die KI ja auch schreiben, trainieren und bedienen. Hier sind zusätzlich neue Berufsbilder entstanden, die mit Tech-Experten besetzt werden wollen. Genau die fehlen aber. Übrigens einer der Gründe, warum ausnahmslos jede Branche betroffen ist, schließlich sind alle herausgefordert, sich weiter zu digitalisieren. Tech-Experten werden damit nicht nur in der IT-Branche, sondern übergreifend gebraucht. Digitalisierung löst also durchaus Probleme, sie zieht aber auch welche nach sich.
Wie können Unternehmen darüber hinaus dem erhöhten Bedarf an qualifizierten Mitarbeitern begegnen?
Prof. Rüdiger Kabst: Die Belegschaft auf Dauer mehr zu belasten ist keine Lösung. Denn auch die eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu halten, kann eine Herausforderung sein – deren Bindung an die Arbeitgeber schwindet. Sicher können Unternehmen sehr gute Bedingungen und Gehälter bieten, doch der Überbietungswettbewerb führt am Ende zu Preissteigerungen. Arbeitgeber müssen umdenken und eine neue Art der Rekrutierung kultivieren. Dazu gehört, dass sie es sind, die sich bei potenziellen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bewerben, nicht mehr umgekehrt. Recruiting muss einfacher werden und auch die ansprechen, die gerade nicht aktiv auf der Suche sind. Darüber hinaus müssen das Corporate Image und die Arbeitgebermarke authentisch und über alle Medien hinweg konsistent sein. Jetzt ist langfristiges Denken gefragt. Dafür darf die Suche nach Fachkräften auch über die Landesgrenzen hinausgehen.
Welche Rahmenbedingungen würden Unternehmen jetzt am besten unterstützen?
Prof. Rüdiger Kabst: Wir brauchen attraktive Bedingungen für mehr qualifikationsorientierte Netto-Zuwanderung, um das sinkende Erwerbspersonenpotenzial auszugleichen. Nur so lässt sich das Problem systematisch lösen.
Prof. Rüdiger Kabst ist Professor der Wirtschaftswissenschaften der Universität Paderborn und hat dort einen Lehrstuhl für International Business. Er beschäftigt sich unter anderem mit Personalmanagement und der Internationalisierung von mittelständischen Unternehmen. Prof. Kabst ist Mitglied im Beirat der Unternehmerperspektiven.